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Einführung und Vorschläge zur thematischen Auseinandersetzung

Das von Hitler propagierte tausendjährige „Dritte Reich“ dauerte zwar „nur“ zwölf Jahre, aber diese Zeit reichte aus, um in Deutschland viele Städte und Dörfer in eine Trümmerlandschaft zu verwandeln. Für viele Menschen war mit dem Kriegsende endgültig eine Welt zusammengebrochen. Sie hatten an die Versprechungen der Nazipropaganda geglaubt oder sich zumindest mit dem Regime arrangiert. Der Krieg, mit dem Deutschland Europa überzogen hatte, war jedoch spätestens mit den Bombardements der Alliierten nach Deutschland zurückgekehrt. Nach den letzten Monaten des Krieges waren die meisten Deutschen nur noch froh, dass es endlich vorbei war. Viele erlebten das Kriegsende allerdings zunächst kaum als „die Befreiung“ von einem verbrecherischen Regime, selbst als die Alliierten sie mit den von Deutschen begangenen Gräueltaten, mit Zeugnissen des Holocausts und der deutschen Kriegsverbrechen konfrontierten, wurde dies eher erduldet.

Nach dem Krieg waren es vor allem die deutschen Intellektuellen und in besonderem Maß die Schriftsteller, die die Nazi-Jahre im Exil überlebt hatten, die den Deutschen Angebote für eine geistige Neuorientierung machten. Die meisten Menschen wollten allerdings 1945 von den begangenen Verbrechen nichts wissen, geschweige denn sich mit der Frage nach einer möglichen eigenen Schuld auseinandersetzen. Die Lebensumstände geboten, sich vorrangig um das eigene Überleben zu kümmern: Wohnungsmangel, harte Winter, extreme materielle Probleme, Hunger, Überlebensnöte standen im Mittelpunkt des Lebens. Das war für die in Deutschland lebenden Schriftsteller nicht anders. Trotzdem gingen einige von ihnen daran, ihre Erfahrungen der vergangenen Jahre ästhetisch zu verarbeiten; der Bekannteste von ihnen wurde Heinrich Böll. Die Buchproduktion allerdings war zunächst genauso stark eingeschränkt wie jede andere Produktion. Es gab jedoch eine Blüte von literarischen Zeitschriften, in denen eine Literatur wieder entdeckt werden konnte, von der man in den vergangenen Jahren nichts mitbekommen hatte. Vor allem auch bestärkte diese Situation die Rolle des Rundfunks und die der Theater, die sehr schnell wieder aktiv wurden, waren die praktischen Umstände auch noch so kompliziert. So hatte zum Beispiel im November 1947 Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ großen Erfolg. Es wurde zunächst als Hörspiel gesendet und einen Tag nach dem frühen Tod des jungen Dichters (er war aus dem Krieg todkrank zurückgekehrt) uraufgeführt. Aus diesen Bereichen der literarischen Zeitschriften, des Rundfunks oder der Theater nach 1945 ließen sich viele Themen entwickeln. Was wurde damals in den Zeitschriften veröffentlicht? Wie wurde damals das Kulturprogramm im Radio gemacht? Was wurde im Theater gespielt?

Die deutschen Schriftsteller waren in dieser Zeit allerdings keineswegs alle einer Meinung – im Gegenteil: Es entwickelte sich eine hitzige, unversöhnliche Debatte zwischen einigen der in Deutschland verbliebenen Dichter und einigen Repräsentanten derjenigen, die ins Exil gegangen waren. Vor allem Thomas Mann wurde – insbesondere von Walter von Molo und Frank Thiess - hart attackiert. Sein Sohn Klaus stritt mit Gottfried Benn, weitere Beiträge zur Lage in Deutschland und zu Möglichkeiten einer neu zu gestaltenden Literatur kamen zum Beispiel von Hermann Broch, Peter Weiss, Kasimir Edschmid, Ernst Wiechert und dem Schweizer Max Frisch. Aus diesen Debatten lassen sich viele Themenvorschläge für die Teilnahme am Wettbewerb ableiten.

Die schon kurz nach dem Krieg erkennbare Tendenz des Zerfalls der antifaschistischen Allianz in ein westlich-kapitalistisch-liberales und ein östlich-kommunistisch-zentralistisches Lager wurde bald traurige Realität: der Eiserne Vorhang teilte den europäischen Kontinent entsprechend der bei der alliierten Konferenz in Jalta festgelegten Einfluss-Sphären. Die Trennungslinie zog sich entlang der Westgrenze der sowjetischen Besatzungszone mitten durch Deutschland und führte nach verschiedenen Vorstufen 1949 zur Gründung zweier deutscher Staaten: der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Das hatte schon früh Konsequenzen für die Entwicklung des literarischen Lebens in Deutschland.

1947 fand ein erster deutscher Schriftstellerkongress in Berlin statt – ein Treffen für alle Schriftsteller, egal, aus welcher Besatzungszone sie kamen. Doch schon hier waren die Konfliktlinien zwischen West und Ost unübersehbar. Der zweite deutsche Schriftstellerkongress 1948 in Frankfurt war bereits eine nahezu ausschließlich westliche Veranstaltung, und in den folgenden Jahren fanden in West und Ost die Treffen in bewußter Abgrenzung gegen die andere Seite statt. Jetzt entstanden auch die meisten literarischen Institutionen, beispielsweise die Akademien – nicht mehr als „gesamtdeutsche“ Gründungen, sondern im Westen oder Osten. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wurde 1949 in Frankfurt gegründet, den ersten Georg-Büchner-Preis unter ihrer Regie bekam 1951 Gottfried Benn. Auch in diesem Zusammenhang sind viele Themen möglich.

Zu dieser Zeit war die Trennung zwischen einer deutschen Literatur Ost und einer im Westen bereits vollzogen. Durch diese Entwicklungen – zwei Staaten, zwei kulturelle und literarische Szenen – sahen sich viele Schriftsteller, insbesondere diejenigen, die aus dem Exil zurückkamen, vor die Frage gestellt, in welchen Teil Deutschlands sie sich begeben sollten. Bertolt Brecht und Anna Seghers zum Beispiel entschieden sich für den Osten: Brecht hatte man in Ost-Berlin gerade das Theater zur freien Verfügung angeboten, in dem schon in der Weimarer Zeit einige seiner Stücke uraufgeführt worden waren – das Berliner Ensemble. Anna Seghers und andere entschieden sich für Ostdeutschland und die DDR, weil sie hofften, dort am Aufbau eines wirklich freien und sozialistischen Deutschland mitwirken zu können. Johannes R. Becher, der die Nazi-Jahre ab 1935 unter großen (auch politischen) Schwierigkeiten in der UdSSR überlebt hatte, entschied sich ebenfalls für die DDR, gründete den „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung“ und den Aufbau Verlag mit und wurde 1954 bis 1958 sogar Kulturminister der DDR. Andere wiederum gingen in den Westen (oder blieben dort). Manche verließen auch nach einigen Jahren, enttäuscht von der Enge der stalinistischen Kulturpolitik, wieder die DDR in Richtung Westen. Thomas Mann bezog eine neutrale Position und nahm nach seiner Rückkehr aus den USA seinen Wohnsitz in der Schweiz. Auch aus diesem Themenkomplex der Teilung der deutschen Literatur im Ost-West-Konflikt lassen sich Stoffe für den Wettbewerb ableiten.

Die Rolle der Literatur innerhalb des kulturellen Neuanfangs – bei der „reeducation“, wie es von den Alliierten genannt wurde – in den ersten Jahren nach 1945 kann kaum überschätzt werden, zumal in diesen Jahren die Medienwelt weit übersichtlicher war, als die heute junge Generation es sich vorstellen kann: Qualitätsjournalismus in Zeitungen und Zeitschriften, im Rundfunk und in dem in den fünfziger Jahren gerade erst auf Sendung gegangenen Fernsehen war keinesfalls so selten wie heute und setzte genauso Maßstäbe wie es die Schriftsteller und ihre Bücher taten. Die Theater boten Inszenierungen von Stücken, die unter den Nazis nicht gespielt werden durften. Daneben standen gerade im westlichen Teil des Landes neue Stücke auf den Spielplänen – viele stammten von ausländischen, vor allem französischen und angelsächsischen Autoren. Ihre unterschiedlichen Inhalte und Positionen und die daraus resultierenden Debatten hatten großen Einfluss auf das intellektuelle Klima. Auch zu diesem Aspekt sind im Wettbewerb anregende Themen möglich.

Ein weiterer Vorschlag für ein Unterthema resultiert aus der Sonderrolle, die der Autor Wolfgang Koeppen in dieser Zeit einnahm. Seine mittlerweile so titulierte „Nachkriegstrilogie“ aus den Romanen „Tauben im Gras“ (1951), „Das Treibhaus“ (1953) und „Der Tod in Rom“ (1954) stellte schon vom Schreibstil her eine ungeheure Herausforderung dar. „Tauben im Gras“ schildert das Leben in einer deutschen Großstadt (München) unter den engen Bedingungen der Nachkriegszeit, in denen sich innerhalb nur eines einzigen Tages die ganze Bandbreite des damaligen Lebens entfaltet. „Das Treibhaus“ wirft bereits in einer Zeit, da Deutschland noch ganz und gar auf den Wiederaufbau konzentriert war, einen analytisch-kritischen Blick auf die Zustände in der Bonner Republik während der Legislaturperiode des ersten deutschen Bundestages: „Immerhin, man saß wieder in der Zentrale, vor acht Jahren saß man in Nürnberg, vor weiteren acht Jahren hatte man auch in Nürnberg gesessen, damals auf der Tribüne, die Nürnberger Gesetze wurden verkündet, die ersten, immerhin, die Katastrophenversicherung auf Gegenseitigkeit funktionierte, man war wieder im Amt, und alles war drin, und viel konnte geschehen.“ (W.K. „Das Treibhaus“, in: „Drei Romane“, Frankfurt 1972, S. 244 f.) Auch in „Der Tod in Rom“ (ein Titel mit bewusster Anlehnung an Thomas Manns „Der Tod in Venedig“) steht diese Kritik einer personalen Kontinuität zwischen alten und neuen Eliten im Zentrum. Hinzu kommt hier ein tiefer Generationskonflikt innerhalb einer Familie zwischen den ewig und allem Angepassten und vor allem einem Sohn, dessen traumatische Erfahrungen in einer Nazi-Jugendburg ihn zum scharfen Gegner seiner eigenen Vergangenheit und seiner Eltern in der Gegenwart werden lassen. 1962 erhielt Koeppen den Georg-Büchner-Preis. Im zweiten Band des Katalogs finden sich mehrere Beiträge, in denen heutige Schriftsteller Bücher von Autoren der Nachkriegszeit vorstellen. Auch hieraus lassen sich Anregungen für eigene Arbeiten gewinnen.

Näheres ist der Ausstellung, ihren Materialien, den Begleitbänden und den auf dieser Internetseite zu findenden Texten und Dokumenten zu entnehmen: Man kann sich bei der Beschäftigung mit dieser Thematik auf eine höchst spannende Entdeckungsreise begeben – zurück in eine Zeit, die vielen jüngeren Menschen zunächst vielleicht sehr fern liegen mag und etlichen Älteren fremd geworden ist, auf deren Fundament wir aber alle stehen.

Nachfolgend seien noch einmal einige Anregungen zusammengefasst:

1. Die Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen der „Inneren Emigration“ und den Autoren, die im Exil waren. Als Ergebnis der Beschäftigung mit diesem Thema kann z.B. eine Expertise zu beiden Positionen als wertendes Urteil für eine literaturgeschichtliche Darstellung entstehen. Es ist zu diesem Punkt auch möglich, beispielsweise einen Dialogtext oder eine Hörspiel- oder Theaterszene usw., die die einander gegenüberstehenden Positionen thematisiert, einzubringen. In diesem Fall kann auch (zusätzlich) eine Tonaufnahme eingereicht werden.

2. Eine eigene Antwort an Thomas Mann, Walter von Molo und Frank Thiess als Ergebnis der selbstständigen Recherche zu deren Auseinandersetzung – durchaus aus heutiger Sicht. Auch zu diesem Thema ist ein dialogischer Beitrag in ganz unterschiedlichen Formen denkbar (Gegenüberstellung der Positionen der Exilanten und der Vertreter der „Inneren Emigration“).

3. Eine Eingabe an den Kulturausschuss des ersten Deutschen Bundestages mit begründeten Empfehlungen, welchen Schriftstellern ein Angebot zur Rückkehr nach Deutschland gemacht werden soll und was man ihnen genau anbieten sollte, damit ihnen die Entscheidung erleichtert werden kann.

4. Eine Untersuchung zur Rolle der Gruppe 47 in diesen Jahren, die auch berücksichtigt, wie es zu ihrer Gründung kam, wie sie funktionierte, wer in ihr aktiv war und aus ihr in das literarische Lebens Deutschlands hinein wirkte und wie das aus heutiger Sicht beurteilt werden kann. Auch hier sind ganz unterschiedliche Formen vorstellbar, beispielsweise eine fiktive letzte Sitzung der Gruppe 47, in der sie auf ihre Anfänge zurückblickt, usw.

5. Die Entwicklung zu zwei literarischen Szenen im geteilten Deutschland: Wer waren die Protagonisten, welche literarischen Organisationen wurden in beiden deutschen Staaten gegründet, wie haben diese auf das literarische Leben eingewirkt? Wie spielte sich die Trennung in zwei deutsche Literaturszenen ab, wer hatte Einfluss darauf, welche Konsequenzen hatte sie? Welche Inhalte unterschieden die beiden Szenen und ihre Literaturen, welche stilistischen Merkmale kennzeichneten die Literatur in Ost und West? Wie sollen wir im vereinten Deutschland mit der Geschichte dieser Teilung, mit den literarischen Werken dieser Zeit umgehen?

6. Porträts einzelner wichtiger Schriftsteller in Ost und West. Was sind die Kennzeichen ihrer literarischen Produktion, welche Werke haben sie beigetragen und wie sind diese zu beurteilen? Welchen Einfluss haben sie auf die Entwicklung der Nachkriegsliteratur gehabt? Die Sonderrolle Wolfgang Koeppens: worin bestand sie, wie zeigte sie sich und was waren die Besonderheiten seiner Nachkriegstrilogie?

7. Was wurde damals in den Schulen gelesen? Welche Rolle spielte die zeitgenössische Literatur in der Schule? Was sollte heute aus dieser Zeit gelesen werden und warum? Hier wäre beispielsweise auch ein Streitgespräch möglich, ob und warum Böll (oder ein anderer Autor der Zeit) heute gelesen werden sollte.

Noch einmal sei betont: Keinesfalls müssen die Teilnehmer sich an diese Beispiele halten, die Festlegung eigener Themen ist jederzeit möglich, solange der übergeordnete Rahmen eingehalten wird.